Disclaimer: Dieser Text ist im Rahmen der Uni-Besetzung im Mai 2023 entstanden und wurde seitdem nicht aktualisiert. An den prinzipiellen Fragen hat sich aber nichts geändert.
Die Universität Bremen ist eine staatliche Universität, und hat entsprechend je nach Perspektive viel oder wenig Spielraum bei der Gestaltung ihrer internen Organisation. Gegenwärtig ist die Universität nach dem Prinzip der Selbstverwaltung organisiert, allerdings auch weisungsgebunden gegenüber dem Land Bremen. Selbstverwaltung heißt, dass es beispielsweise ein Uni-Parlament als höchstes internes Entscheidungsgremium gibt, den „Akademischen Senat“. Diesem zentralen Parlament, das unter anderem das Rektorat wählt, stehen die „dezentralen“ Parlamente in den Fachbereichen und Instituten gegenüber. Diese Gremien stehen zueinander im Verhältnis der Subsidiarität. Das heißt, dass die Fragen, die z.B. nur einen einzelnen Fachbereich betreffen, nach Möglichkeit in dessen Fachbereichsrat entschieden werden sollten. Studierende sind in diesen Strukturen strukturell benachteiligt (schon durch die hohe Fluktuation), obwohl sie zahlenmäßig mit Abstand die größte Gruppe unter den Mitgliedern der Universität ausmachen. Als eine Art „Ausgleich“ für diese Diskriminierung gibt es in den meisten Bundesländern die Organe der sog. „Verfassten Studierendenschaft“, die über Angelegenheiten entscheiden darf, die ausschließlich Studierende betreffen. Die Mitgliedschaft in dieser Teilkörperschaft der Hochschule ist für alle eingeschriebenen Studierenden Pflicht, ebenso wie die Entrichtung der von ihr erhobenen und von der Universitätsverwaltung für sie eingezogenen Beitragszahlungen. Eine ausführliche Kritik der studentischen Hochschulpolitik am Beispiel der Uni Hamburg findet ihr hier.
Von einer freiwilligen Selbstorganisation im Sinne einer demokratischen Hochschule kann also keine Rede sein. Die Abläufe der repräsentativ-demokratisch organisierten Selbstverwaltung von Staates Gnaden sind unflexibel, intransparent und (nicht nur) für Studierende zu großen Teilen gänzlich unzugänglich. Die Ergebnisse der Wahlen für die verschiedenen Gremien zeigen regelmäßig allein durch die Wahlbeteiligung, wie wenig Bedeutung insbesondere Studierende ihnen zumessen. Häufig wird als Begründung hierfür ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1973 herangezogen. Danach müssen in staatlichen Universitäten Hochschullehrer:innen bei Entscheidungen, die unmittelbar die Lehre betreffen, über mindestens 50% der Stimmen verfügen, und bei Entscheidungen, die unmittelbar die Forschung betreffen, einen „noch weitergehenden, auschlaggebenden Einfluss“ haben. Weil sie als „homogen […] zusammengesetzte Gruppe“ Grundrechtsträger:innen der Wissenschaftsfreiheit sind, haben sie ein Anrecht auf den Schutz ihres grundgesetzlich gesicherten Freiraums, der Tätigkeit als Wissenschaftler:in. Dieses Urteil ist ist aber nicht der Grund dafür, dass die Hochschullehrer:innen in der Praxis alle Gremien der akademischen Selbstverwaltung dominieren. Nehmen wir den Akademischen Senat der Uni Bremen als Beispiel: Gemäß der Grundordnung der Uni Bremen vertreten von den 22 Mitgliedern des Akademischen Senats zwölf die Gruppe der Hochschullehrer:innen (nach dem Bremischen Hochschulgesetz bestehend aus den Uni-Mitgliedern mit Habilitation) und vier die anderen an der Uni tätigen Wissenschaftler:innen. Der Anforderung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts ist damit insoweit genüge getan, als dass die Wissenschaftler:innen mit 16 von 22 Sitzen einen „ausschlaggebenden Einfluss“ auf unmittelbar die Forschung betreffende Entscheidungen haben. Tatsächlich geht die Grundordnung aber weit darüber hinaus, da sie diesen Einfluss in allen Entscheidungen des Akademischen Senats haben, und zusätzlich innerhalb der „homogenen Gruppe“ der Wissenschaftler:innen anhand des Merkmals der Habilitation diskriminiert wird. Die Grundordnung ist also einerseits zum deutlichen Nachteil der Vertreter:innen der Wissenschaftler:innen ohne Habilitation (die naturgemäß von der durch sie abgegrenzten Gruppe für das Maß aller Dinge gehalten wird) gestaltet, die aber tatsächlich zahlenmäßig den deutlich größeren Teil der Wissenschaftler:innen ausmachen. Andererseits nimmt sie den Vertreter:innen der anderen Mitglieder der Universität (also den Studierenden und den Mitarbeiter:innen in Technik und Verwaltung) effektiv das Recht auf Mitbestimmung, da diese selbst in Koalition miteinander keine Beschlüsse ohne die Zustimmung der Gruppe der Wissenschaftler:innen treffen können (dies trifft natürlich für die Vertreter:innen der nicht-habilitierten Wissenschaftler:innen in Bezug auf die Vertreter:innen der habilitierten Wissenschaftler:innen genauso zu). Die akademische Selbstverwaltung der Universität Bremen ist also gekapert von einer kleinen, aber einflussreichen und mit vielen Ressourcen ausgestatteten Gruppe von insgesamt nur 316 Personen oder 1,4% der Uni-Mitglieder (im Jahr 2021), die die Universität – zu der ja noch 21.774 weitere Mitglieder (im Jahr 2021) gehören – weitgehend nach ihrem Gutdünken verwalten können. Anders gesagt:
- Die Wissenschaftsfreiheit ist bedroht nicht durch die akademische Selbstverwaltung, sondern durch die Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse des Großteils der Wissenschaftler:innen, die aufwendige Bürokratie, die schleichende Umwandlung der Grundfinanzierung von Hochschulen in befristete Projektfördermittel und die Diskriminierung von Wissenschaftler:innen unter anderem anhand des Merkmals der Habilitation.
- Eine Verbesserung der Repräsentation der Mitglieder der Universität, insbesondere der Studierenden, behebt nicht die Mängel der repräsentativen Demokratie. Sie behebt auch nicht die Mängel der Institution Hochschule, aber sie bedeutet eine Linderung der offensichtlichen Diskriminierung in den Strukturen der akademischen Selbstverwaltung.
- Die Forderung nach gleicher Repräsentation in den Hochschulgremien (Parität) für Studierende ist untrennbar verbunden mit der Auflösung des Zwei-Klassen-Systems von Wissenschaftler:innen „in Qualifizierungsmaßnahmen“ und habilitierten Wissenschaftler:innen mit Lehrstuhl und Verbeamtung. Das wesentliche Merkmal, das über den Status als Wissenschaftler:in – und damit als entsprechend zu berücksichtigende:n Grundrechtsträger:in – entscheidet, ist die Promotion (wobei auch die Forschung und Lehre von Promovend:innen entsprechend geschützt sein müsste).